Steuerbürger, die ausschließlich Arbeitslohn beziehen, sind oft der Meinung, dass sie eine Steuererklärung nicht verpflichtend abgeben müssen. Doch diese Auffassung entpuppt sich vielfach als falsch, beispielsweise wenn beide Ehegatten verdienen und die Steuerkassenkombination III/V gewählt haben. Der Gesetzgeber weiß, dass es bei dieser Konstellation in zahlreichen Fällen zur Nachzahlung kommt und verlangt daher die Abgabe der Einkommensteuererklärung. Gilt das schon als Steuerhinterziehung?
Zumeist bekommen die Betroffenen nach zwei oder drei Jahren eine bösen Brief vom Finanzamt, mit dem sie zur Abgabe der Erklärung aufgefordert werden, wenn sie diese nicht „freiwillig“ abgegeben haben. Schließlich liegen den Finanzämtern die entsprechenden Informationen über Steuerklassen und Arbeitslöhne vor, da sie ihnen vom jeweiligen Arbeitgeber digital übermittelt worden sind. Doch zuweilen kommt der Brief des Finanzamts erst nach vielen Jahren. Und dann stellt sich die Frage, für wie viele Jahre die Steuererklärungen noch abgegeben werden müssen.
Antwort: Steuererklärungen sind maximal für die letzten sieben Jahre abzugeben. Maßgebend ist die Festsetzungsfrist, die an sich nur vier Jahre beträgt. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist. Aber: Bei der Nichtabgabe von Steuererklärungen verschiebt sich ihr Beginn um drei Jahre. Im Jahre 2022 kann das Finanzamt also die Steuererklärungen für die Jahre 2015 bis 2021 anfordern. Anders ausgedrückt: Die Festsetzungsfrist für das Steuerjahr 2015 beginnt am 1.1.2016 und endet am 31.12.2022.
Zugegeben: Sieben Jahre sind schon eine lange Zeit. Doch die Finanzverwaltung will zumeist noch weiter zurückgehen und wendet einen Kniff an: Die Nichtabgabe einer Steuererklärung sei nämlich stets eine Steuerhinterziehung, mindestens aber eine leichtfertige Steuerverkürzung. Und dann kann sich die Festsetzungsfrist auf fünf oder gar zehn Jahre verlängern. Zusammen mit der dreijährigen Verschiebung des Fristbeginns droht also die Nacherklärung für bis zu 13 Jahre.
Aktuell hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass kein Fall der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung vorliegt, wenn eine Steuererklärung trotz Steuerklassenkombination III/V nicht abgeben wurde. Folge: Steuererklärungen müssen nur für sieben Jahre nachgereicht werden (Urteil vom 24.6.2022, 4 K 135/19 E).
Der Fall: Bis einschließlich 2008 erzielte lediglich der Ehemann Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Lohnsteuerabzug erfolgte über die Steuerklasse III. Die Ehegatten reichten regelmäßig Einkommensteuererklärungen ein. Sie wurden zusammen veranlagt. Ab 2009 erzielte nicht nur der Ehemann, sondern auch die Ehefrau Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Weitere Einkünfte erzielten die Eheleute nicht. Der Lohnsteuerabzug des Ehemannes erfolgte weiterhin über die Steuerklasse III, derjenige der Ehefrau über die Steuerklasse V. Die jeweiligen Arbeitgeber übermittelten dem Finanzamt die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen. Die Ehegatten reichten ab 2009 keine Steuererklärungen mehr ein.
Erst Anfang 2018 wertete das Finanzamt eine Prüfliste aus. Hierbei fiel auf, dass mit der Aufnahme der Beschäftigung durch die Ehefrau in 2009 ein Wechsel von der Antrags- zur Pflichtveranlagung erfolgt war und die Eheleute daher ab 2009 verpflichtet waren, Einkommensteuererklärungen einzureichen. Hierauf leitete das Finanzamt ein Strafverfahren ein und erließ im Jahre 2018 Steuerbescheide von 2009 an. Gegen die Festsetzungen für 2009 und 2010 wehrten sich die Eheleute, da ihrer Meinung nach Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Und tatsächlich war ihre Klage erfolgreich.
Begründung: Die Festsetzungsfrist beträgt für beide Streitjahre vier Jahre zuzüglich einer so genannten Anlaufhemmung von drei Jahren, weil keine Steuererklärungen abgegeben wurden. Demzufolge lief die Festsetzungsfrist für 2009 am 31.12.2016 und für 2010 am 31.12.2017 ab. Der Erlass der Steuerbescheide in 2018 war somit verspätet. Vorliegend gelte keine verlängerte Festsetzungsfrist. Es liege weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vor.
Im Streitfall hätten die Kläger das Finanzamt nicht über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Dem Finanzamt seien die für die Einkommensteuerfestsetzung wesentlichen tatsächlichen Umstände bekannt gewesen. Insbesondere sei dem Finanzamt aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen bekannt gewesen, dass die Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen und beim Lohnsteuerabzug die Lohnsteuerklassen III und V berücksichtigt wurden.
Diese elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen waren mit der gemeinsamen Steuernummer der verheirateten Kläger konkret verknüpft und ihr tatsächlich zugeordnet. Sie waren in einer Übersicht über elektronische Bescheinigungen abrufbar.
Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, so dass das letzte Wort möglicherweise noch nicht gesprochen ist. Es wird spannend sein, ob und wie der Bundesfinanzhof entscheiden wird.