Steuerbescheid nicht erhalten? Wann Erben die Zugangsfiktion anfechten können

Steuerbescheid nicht erhalten? Wann Erben die Zugangsfiktion anfechten können
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Steuerbescheide gelten nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich als bekanntgegeben – selbst wenn der Empfänger den Zugang bestreitet. Doch was passiert, wenn ein Erbe behauptet, der Bescheid sei nicht zugegangen? Ein aktuelles Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) könnte klären, ob und unter welchen Voraussetzungen sich Gesamtrechtsnachfolger auf eine fehlende Bekanntgabe berufen können.

Zugangsfiktion bei Steuerbescheiden: Was bedeutet das?

Steuerbescheide werden meist per einfachem Brief verschickt. Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass sie nach einer bestimmten Zeit als zugegangen gelten – unabhängig davon, ob der Empfänger sie tatsächlich erhalten hat.

Wichtige Fristen:

  • Bis 2024: Zugangsfiktion nach 3 Tagen
  • Ab 2025: Verlängert auf 4 Tage (wegen längerer Postlaufzeiten, vgl. Postrechtsmodernisierungsgesetz)

Diese Regelung ist steuerlich relevant, weil die Einspruchsfrist von einem Monat erst ab Bekanntgabe des Steuerbescheids beginnt.

Wenn der Steuerbescheid nicht ankommt: Wer muss den Zugang beweisen?

Was passiert, wenn ein Steuerpflichtiger oder sein Erbe behauptet, der Bescheid sei nie angekommen?

Grundsatz: Das Finanzamt muss den vollen Nachweis über den Zugang erbringen, wenn der Empfänger den Erhalt bestreitet (BFH-Urteil vom 29.4.2009, X R 35/08).
Aber: Bloße Schutzbehauptungen reichen nicht aus – der Einspruch muss glaubhaft begründet sein (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019, 9 K 9073/18).

Praxis-Tipp: Ein glaubhafter Hinweis kann z. B. sein, dass es im Mietshaus nur einen Gemeinschaftsbriefkasten gibt und Postsendungen häufiger verloren gehen.

Aktueller Fall: Kann ein Erbe den Zugang des Steuerbescheids bestreiten?

Der Bundesfinanzhof (BFH) wird sich bald mit der Frage beschäftigen, ob sich auch ein Gesamtrechtsnachfolger (Erbe) auf eine fehlende Bekanntgabe berufen kann.

Hintergrund:

  • Ein Finanzgerichtsurteil ließ die Zugangsfiktion entfallen, weil Zweifel am Zugang des Steuerbescheids bestanden.
  • Der verstorbene Steuerpflichtige galt als gewissenhaft und hatte sämtliche Steuerunterlagen geordnet aufbewahrt.
  • Der Einkommensteuerbescheid für 2016 fehlte jedoch in seinen Unterlagen.
  • Der Erbe bestritt den Zugang und reichte Unterlagen nach, die die Steuerlast für 2016 verringern sollten.
  • Das Finanzamt argumentierte, dass der Steuerbescheid im Jahr 2017 als bekanntgegeben gelte – daher sei die Nachreichung zu spät.

Gerichtsentscheidung (FG Münster, Urteil vom 19.4.2024, 4 K 870/21 E, Revision VI R 16/24):

  • Das bloße Bestreiten des Zugangs reicht nicht aus.
  • Aber: Wenn begründete Zweifel am Zugang bestehen, kann die Zugangsfiktion erschüttert werden.
  • Ausschlaggebend im Fall: Die strukturierte Ablage des Erblassers machte es unwahrscheinlich, dass der Bescheid zugegangen war.

Da es bisher keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage gibt, hat das Gericht die Revision beim BFH zugelassen.

Fazit: Welche Rechte haben Steuerpflichtige und Erben?

  • Die Zugangsfiktion gilt nicht absolut – wenn der Zugang glaubhaft bestritten wird, muss das Finanzamt den Zugang nachweisen.
  • Erben könnten in Zukunft Steuerbescheide anfechten, wenn es begründete Zweifel an der Bekanntgabe gibt.
  • Ab 2025 verlängert sich die Zugangsfiktion von 3 auf 4 Tage, was die Fristen für Einsprüche beeinflussen kann.

Das Urteil des BFH könnte entscheidend dafür sein, ob und in welchen Fällen sich ein Erbe auf die fehlende Bekanntgabe eines Steuerbescheids berufen kann.

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