Wer seinen Steuerbescheid später als 15 Monate nach dem Steuerjahr erhält, muss bei einer Steuernachzahlung zusätzlich Steuerzinsen zahlen. Diese Nachzahlungszinsen betrugen bisher 0,5 Prozent je vollen Monat. Wer eine Steuererstattung erhält, bekommt entsprechende Erstattungszinsen (§ 233a AO). Die Höhe des Zinssatzes ist im Gesetz festgelegt (§ 238 AO). Ein Zinssatz von 6 % p.a. ist heutzutage außerordentlich hoch, wo doch die Marktzinsen schon seit etlichen Jahren nahe Null und sogar im Negativbereich liegen. Im Vergleich dazu stellt der Zinssatz des Fiskus von 6 % heute ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung dar.
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht endlich im Jahre 2021 entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen mit einem Zinssatz von 0,5 % monatlich bzw. 6,0 % jährlich verfassungswidrig ist – und zwar ab dem 1.1.2014. Die Regelung der Steuerzinsen in § 233a und § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ist insoweit mit dem Grundgesetz unvereinbar (BVerfG-Urteile vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17).
- Die Entscheidung der Verfassungshüter zu den Steuerzinsen ist nur halbherzig, denn korrigiert werden muss der Zinssatz erst ab dem 1.1.2019! Für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018 gilt die verfassungswidrige Vorschrift fort, ohne dass der Gesetzgeber verpflichtet wäre, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
- Bis zum 31.7.2022 ist der Gesetzgeber verpflichtet, für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 eine verfassungsmäßige Neuregelung zu treffen, die sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 erstreckt und alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide erfasst.
Steuerzinsen gelten rückwirkend ab dem 1.1.2019
Aktuell hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zu einem neuen Zinssatz vorgelegt: Rückwirkend ab dem 1.1.2019 soll der Zinssatz für Steuernachforderungs- und Steuererstattungszinsen auf 0,15 % pro Monat, d.h. 1,8 % pro Jahr, gesenkt werden (§ 238 Abs. 1a AO, eingefügt durch das „Zweite Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“).
Der neue Zinssatz für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen nach § 233a AO orientiert sich am aktuellen Basiszinssatz nach § 247 BGB (- 0,88 % p.a.) mit einem sachgerechten Zuschlag in Höhe von rund 2,7 Prozentpunkten. Er bleibt damit aber deutlich unterhalb des Zinssatzes für Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB und bildet damit einen angemessenen Mittelwert zwischen Guthabenzinsen und Verzugszinsen.
Unterschiedliche Zinssätze: Sind für einen Zinslauf nach Absatz 1a (neu) – das betrifft Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 (1,8 % p.a.) – und nach Absatz 1 – das betrifft Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 (6,0 % p.a.) – unterschiedliche Zinssätze maßgeblich, ist der Zinslauf in Teilverzinsungszeiträume aufzuteilen, für die die Zinsen jeweils tageweise zu berechnen sind. Hierbei wird jeder Kalendermonat unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Kalendertage mit 30 Zinstagen und jedes Kalenderjahr mit 360 Tagen gerechnet (§ 238 Abs. 1b AO).
Anpassung: Die Angemessenheit des Zinssatzes wird unter Berücksichtigung der Entwicklung des Basiszinssatzes nach § 247 BGB wenigstens alle drei Jahre angepasst mit Wirkung für nachfolgende Verzinsungszeiträume. Die erste Evaluierung erfolgt spätestens zum 1.1.2026. Eine Anpassung erfolgt jedoch nur, wenn der zum 1. Januar des Anpassungsjahres geltende Basiszinssatz um mehr als einen Prozentpunkt von dem bei der letzten Anpassung des Zinssatzes geltenden Basiszinssatz abweicht (§ 238 Abs. 1c AO).
Anwendung: Die Neuregelung des Zinssatzes für Zinsen nach § 233a AO gilt für alle Steuern, auf die die Vollverzinsung anzuwenden ist. Dies gilt auch für die Umsatzsteuer, für die eine Verzinsungspflicht nach EU-Vorschriften besteht (§ 233 AO) sowie für die Gewerbesteuer, die von den Gemeinden verwaltet wird.
Die Neuregelung erstreckt sich nicht auf Stundungs-, Hinterziehungs- Aussetzungs- und Prozesszinsen (gemäß §§ 234, 235, 236 und 237 AO) sowie auf Säumniszuschläge (gemäß § 240 AO). Hier bedarf es noch weiterer Prüfung. Vorerst gilt deshalb insoweit der bisherige gesetzliche Zinssatz weiter. Anträge wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit solcher anderer Zinsen werden die Finanzämter – entsprechend dem weiter geltenden Gesetz – ablehnen. Diese anderen Zinsen müssen weiterhin gezahlt werden.
Aktuell hat der Bundesfinanzhof in einem Aussetzungsverfahren verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe der Säumniszuschläge angemeldet (BFH-Beschluss vom 26.5.2021, VII B 13/21). Er wird sich aber ohnehin intensiv mit der Höhe der Säumniszuschläge befassen müssen, da auch ein Revisionsverfahren zu der Thematik anhängig ist (Az. VII R 55/20). Gegebenenfalls wird er das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Von daher sollte die Festsetzung von Säumniszuschlägen unter Hinweis auf die genannten Verfahren sowie unter Hinweis auf eine Entscheidung des Finanzgerichts Münster vom 16.12.2021 (12 V 2684/21 AO; vgl. SteuerSparbrief Februar 2022) angegriffen werden.