Die Ausbildung zum Verkehrsflugzeugführer und der Erwerb der Berufspilotenlizenz (ATPL) ist so ziemlich die teuerste Berufsausbildung überhaupt. Wer seinen vermeintlichen Traumjob verwirklichen möchte, muss mit Kosten von 70.000 Euro bis 80.000 Euro für die Flugschule und weiteren Ausgaben für Fahrten, Auslandsaufenthalt usw. rechnen. Alle Kosten sind selbst zu stemmen, denn die Möglichkeit eines Ausbildungsdienstverhältnisses mit einer Fluggesellschaft sucht man vergebens. Also gibt es noch nicht einmal eine Vergütung während der Ausbildungszeit von rund 18 Monaten. Die hohen Kosten der Ausbildung sind steuerlich absetzbar. Zu unterscheiden ist allerdings, ob die Pilotenausbildung die erste Berufsausbildung ist oder ob man vorher bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen hat.
Gerade bei diesem „Pilotenfall“ zeigt sich nun die grobe Ungerechtigkeit unseres Steuerrechts.
(1) Pilotenausbildung als Zweitausbildung
Wer bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, kann die Kosten der Pilotenausbildung in voller Höhe als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend machen. Die Ausbildungskosten wer-den zunächst mit anderen Einkünften verrechnet (sog. Verlustausgleich). Ein verbleibender Verlust wird auf kommende Jahre vorgetragen (sog. Verlustabzug) – so lange, bis erstmals Einkünfte erzielt werden. So können die Ausbildungskosten im ersten und ggf. noch im zweiten Jahr der späteren Pilotentätigkeit zu einer außerordentlich erfreulichen Steuererstattung führen, mit der wenigstens ein Teil der hohen Ausgaben zurückfließt (§ 9 Abs. 6 EStG; BFH-Urteil vom 27.5.2003, VI R 85/02; BFH-Urteil vom 30.9.2008, VI R 4/07).
(2) Pilotenausbildung als Erstausbildung
Wer die Pilotenausbildung als erste Berufsausbildung, etwa im Anschluss an das Abitur, absolviert, kann die Ausbildungskosten nur begrenzt bis 6.000 Euro als Sonderausgaben absetzen (bis 2011: 4.000 Euro). Der Sonderausgabenabzug wirkt sich nur dann steuermindernd aus, wenn andere Einkünfte – auch des Ehegatten – vorliegen, von denen die Ausgaben abgezogen werden können. Ist dies nicht der Fall, verpufft die vermeintliche Steuervergünstigung wirkungslos. Was von den Ausbildungskosten im Jahr der Zahlung nicht mit Einkünften verrechnet werden kann, ist steuerlich verloren (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG).
Der Abzug als Sonderausgaben hat gegenüber dem Werbungskostenabzug zwei wesentliche Nachteile:
- Zum einen bedeutet der Höchstbetrag von 6.000 Euro eine rigide Begrenzung, denn die Pilotenausbildung ist um ein Vielfaches höher. Beim Werbungskostenabzug hingegen würden die Kosten in vollem Umfang berücksichtigt.
- Zum anderen läuft der Abzug als Sonderausgaben ins Leere, wenn während der Ausbildung keine oder nur geringe Einkünfte vorliegen. Denn anders als bei Werbungskosten wird ein „Verlust“ nicht festgestellt und nicht in Folgejahre vorgetragen. Und so können sich die verausgabten Ausbildungskosten nicht im ersten und ggf. zweiten Berufsjahr steuermindernd auswirken und zu einer hübschen Steuererstattung führen.
Im Juli 2011 hatte der Bundesfinanzhof in mehreren Urteilen schon einmal entschieden, dass die Kosten für eine Pilotenausbildung auch dann in voller Höhe als vorab entstandene Werbungskosten absetzbar sind, wenn es sich um die erste Berufsausbildung handelt (BFH-Urteile vom 28.7.2011, VI R 5/10, VI R 8/09, VI R 38/10, VI R 59/09, VI R 22/09).
Daraufhin hat der Gesetzgeber den ausschließenden Gesetzeswortlaut präziser formuliert und die vorteilhaften BFH-Urteile in den Orkus verbannt. Die Ausbildungskosten sollten weiterhin nur begrenzt als Sonderausgaben abziehbar sein. Die Neuregelung trat am 14.12.2011 in Kraft, galt aber rückwirkend ab 2004. Ein umstrittenes Verfahren! („Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz“ vom 7.12.2011).
Im Jahre 2014 hat der Bundesfinanzhof (6. Senat) erneut ausführlich und fundiert dargelegt, dass trotz neuer Gesetzesregelung auch Aufwendungen für die Erstausbildung zu einem Beruf – also Pilotenausbildung nach dem Abitur – in vollem Umfang als Werbungskosten berücksichtigt werden müssten. Die BFH-Richter baten das Bundesverfassungsgericht um Klärung, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium als Erstausbildung nicht als Werbungskosten anerkannt werden (BFH-Beschlüsse vom 17.7.2014, VI R 61/11, VI R 2/12, VI R 8/12 u.a.).
Aktuell hat das Bundesverfassungsgericht – nach über 5 Jahren(!) – endlich die heiß umstrittene Frage zur steuerlichen Behandlung von Ausbildungskosten entschieden – leider zum Nachteil der betroffenen Piloten, die ihre Ausbildung als Erstausbildung nach dem Abitur absolviert haben:
Die derzeitige gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß.
Dass Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung nicht als Werbungskosten abgesetzt werden können, verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Die Verfassungshüter widersprechen damit den höchsten Finanzrichtern! (BVerfG-Beschluss vom 19.11.2019, 2 BvL 23/14, 2 BvL 25/14, 2 BvL 26/14, 2 BvL 27/14, veröffentlicht am 10.1.2020).
Vier der sechs Verfassungsbeschwerden betrafen Piloten, denen die steuerliche Berücksichtigung ihrer fünfstelligen hohen Ausbildungskosten als Werbungskosten verweigert worden war. Umso enttäuschender ist es, dass die Verfassungshüter sie als kleine unbedeutende Randgruppe abtun, die keine Beachtung finden muss. Während unser Steuerrecht nicht zuletzt wegen der Einzelfallgerechtigkeit derart kompliziert ist, wirkt der Verzicht darauf in diesem Fall wie Hohn für die Betroffenen:
- „Der Zusammenhang von Ausbildungskosten mit der späteren Erwerbstätigkeit ist zwar gerade bei der Ausbildung zum Berufspiloten sehr konkret. Schon die vertragliche Ausgestaltung der Pilotenausbildung zielt in vielen Fällen darauf oder legt es zumindest nahe, dass sich an die Ausbildung unmittelbar ein Beschäftigungsverhältnis bei einer bestimmten Fluggesellschaft anschließt“ (Rz. 130). Aha! Dies spricht doch klar für den Werbungskostenabzug!
- „Doch hierbei handelt es sich um eine zahlenmäßig unbedeutende Sonderkonstellation.“ Im Jahr 2014 seien lediglich 1.008 Neuanmeldungen zur Ausbildung fliegerischen Personals erfolgt, was einem Anteil von 0,1 % aller Teilnehmer von vollqualifizierenden Berufsausbildungen entspreche. Darunter seien auch Personen, die bereits eine erste Berufsausbildung abgeschlossen hätten oder – insbesondere beim Militär – in einem Ausbildungsdienstverhältnis stünden (Rz. 130, 84). Oho, einer kleinen Gruppe wird das Recht verweigert!
- „Die geringe Zahl spricht dafür, dass der Gesetzgeber diese Fälle in Ausübung seiner Typisierungskompetenz vernachlässigen durfte, weil er sich grundsätzlich am Regelfall orientieren darf und nicht gehalten ist, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen“ (Rz. 130). Tja, eben Pech gehabt!
- Geradezu hanebüchen ist die Begründung, dass die Pilotenausbildung auch privat mitveranlasst und wegen fehlender Aufteilungsmöglichkeit vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen sei: Die Piloten würden Inhalte erlernen, „die auch außerhalb der Fliegerei genutzt werden könnten, wie Risikoeinschätzung, Umgang mit Gefahrensituationen, medizinische und psychologische Kenntnisse. Zudem könne die Ausbildung auch einen Nutzen für die Privatfliegerei mit sich bringen“ (Rz. 85, 132). Wie bitte!? Als ob der Vorteil der Privatnützigkeit nicht für alle Fortbildungen gilt!
- Als weitere Rechtfertigung des Werbungskostenausschlusses nennen die Verfassungshüter, dass die Piloten mehr Möglichkeiten hätten, später ins Ausland zu ziehen und so einer Besteuerung in Deutschland zu entgehen (Rz. 85). Als ob diese Möglichkeit nicht für alle Bürger besteht!
- Die Erstausbildung sei auch deswegen der Lebensführung zuzurechnen, weil diese noch von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst sei. „Die Eltern schulden eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht.“ Der Staat berücksichtige die Unterhaltsverpflichtung durch Kindergeld und Kinderfreibetrag bei der Steuer sowie durch BAföG (Rz. 125). Als ob Eltern tatsächlich verpflichtet wären, neben dem Lebensunterhalt mal eben 70.000 Euro für die Schulung der Tochter oder des Sohnes aufzubringen!
- Weshalb der Gesetzgeber sich so beharrlich weigert, die Kosten für eine Erstausbildung als Werbungskosten zu akzeptieren, und dafür mehrere Gesetzesänderungen initiiert, hat ganz einfach einen fiskalischen Grund: Er will damit Steuerausfälle von jährlich über 1 Milliarde Euro vermeiden (Rz. 10; BT-Drucksache 15/3339 vom 16.6.2004, S. 2; ebenso BT-Drucksache 17/7524 vom 26.10.2011, S. 5). Wie Hohn klingt die gebetsmühlenartige Parole der Politik, es müsse mehr in Bildung investiert werden! Doch der Fiskus sieht keinen Zusammenhang zwischen Pilotenausbildung und späterem Einkommen!
Wir haben unseren Leserinnen und Lesern seit vielen Jahren dazu geraten, ihre Studien- und Ausbildungskosten als Werbungskosten geltend zu machen, bei Ablehnung Einspruch gegen die Steuerbescheide einzulegen und unter Hin-weis auf die Verfassungsbeschwerden das Ruhenlassen zu beantragen. Seit März 2015 versehen die Finanzämter bezüglich der „Ausbildungskosten“ von Amts wegen alle Steuerbescheide mit einem Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 AO (BMF-Schreiben vom 20.2.2015).
Das bedeutet, dass die Steuerbescheide in diesem Punkt offen blieben. Da aber nun die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts leider nicht positiv ist, wird die Finanzverwaltung bald alle Steuerbescheide mittels Allgemeinverfügung für bestandskräftig erklären, ohne dass Sie eine Einspruchsentscheidung bekommen. Damit ist das Thema „Studien- und Ausbildungskosten“ erledigt.