Für ein volljähriges Kind wird Kindergeld auch dann gezahlt, wenn es eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass sich das Kind ernsthaft um eine Ausbildungsstelle oder um die Fortsetzung der Ausbildung bemüht. Grundsätzlich sollen ausbildungswillige Kinder ohne Ausbildungsplatz den Kindern gleichgestellt sein, die sich in Ausbildung befinden. Ein Anspruch auf Kindergeld besteht auch dann, wenn ein Kind seine Ausbildung wegen einer Erkrankung unterbrechen muss, weil es aus objektiven Gründen zeitweise nicht in der Lage ist, die Ausbildung fortzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 15.7.2003, VIII R 47/02). Doch was gilt, wenn das Kind eine Ausbildung wegen einer Erkrankung gar nicht erst beginnen oder sich um eine Ausbildungsstelle bemühen kann?
Im vergangenen Jahr hat das Finanzgericht Düsseldorf entschieden, dass ein Anspruch auf Kindergeld auch dann besteht, wenn eine Ausbildung wegen einer Erkrankung schon nicht begonnen oder gesucht werden kann. Die Ausbildungswilligkeit muss allerdings glaubhaft gemacht werden (Urteil vom 26.4.2019, 7 K 1093/18 Kg). Gegen das Urteil ist noch die Revision beim Bundesfinanzhof anhängig (Az. III R 35/19).
Aktuell hat das Finanzgericht Hamburg in ähnlicher Weise entschieden. Ein Kind, das ausbildungswillig ist, aber infolge einer Erkrankung daran gehindert ist, sich ernstlich um eine Berufsausbildung zu bemühen, ist ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet . Es besteht mithin Anspruch auf Kindergeld (Urteil vom 17.1.2020, 5 K 24/19).
Der Fall: Die Tochter befand sich von August 2016 bis Juni 2017 in einer Ausbildung. Sie unterbrach die Ausbildung krankheitsbedingt. Ab August 2018 absolvierte sie für ein Jahr den Bundesfreiwilligendienst. Die Mutter bezog seit langem Kindergeld für ihre Tochter und beantragte dieses auch für die Zeit ab August 2018. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für Juli 2017 bis einschließlich Juli 2018 auf und forderte den überzahlten Betrag von 2.510 Euro zurück. Hiergegen legte die Mutter Einspruch ein. Sie reichte Unterlagen über die Erkrankung der Tochter und deren Bemühungen um einen Ausbildungsplatz ein. Zudem legte sie eine Bestätigung vor, wonach diese nach Genesung den Bundesfreiwilligendienst antreten und sich parallel einen Ausbildungsplatz suchen wolle. Diese Bestätigung wurde von der Tochter (erst) im Oktober 2018 unterzeichnet.
Der Einspruch wurde zurückgewiesen. Die Tochter könne nach Abbruch der Ausbildung lediglich als „Kind ohne Ausbildungsplatz“ berücksichtigt werden. Eine Berücksichtigung sei grundsätzlich auch möglich, wenn ein Kind wegen einer Erkrankung gehindert sei, sich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen. Dies erfordere aber eine schriftliche Erklärung des Kindes, dass es gewillt sei, sich unmittelbar nach Genesung um eine Ausbildung zu bemühen.
Eine solche Erklärung könne aber keine Rückwirkung entfalten, sondern wirke erst ab Eingang bei der Familienkasse. Hiergegen hat die Mutter Klage erhoben. Ihre Tochter habe während der gesamten Dauer ihrer Erkrankung das Ziel behalten, eine neue Ausbildung zu beginnen und sich auch um eine solche ernsthaft bemüht. Die Klage war erfolgreich.
Begründung: Zu Unrecht habe die Familienkasse die bisherige Kindergeldfestsetzung für die Monate September 2017 bis einschließlich Juli 2018 aufgehoben. Ein Anspruch auf Kindergeld bestehe auch dann, wenn das Kind seine Ausbildung wegen einer Erkrankung unterbrechen muss. Habe ein Kind einen Ausbildungsplatz und sei ausbildungswillig, ist aber aus objektiven Gründen zeitweise nicht in der Lage, die Ausbildung fortzusetzen, sei es ebenso zu behandeln wie ein Kind, das sich ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht, einen solchen aber nicht findet.
Nichts anderes könne dann gelten, wenn eine Ausbildung wegen einer Erkrankung nicht begonnen oder gesucht werden kann. Dass die Erklärung über die Ausbildungswilligkeit erst im Oktober 2018 vorgelegt wurde, sei insoweit ohne Belang. Soweit die Familienkasse die rechtzeitige Vorlage einer solchen Erklärung in ihrer Dienstanweisung als Voraussetzung für die Annahme der Ausbildungswilligkeit vorsieht, sei das Gericht an diese Verwaltungsauffassung nicht gebunden.
Gegen das Urteil ist ebenfalls die Revision zugelassen worden, die unter dem Az. III R 13/20 anhängig ist. Eine weitere Revision besteht unter den Az. III R 49/18. Ablehnende Bescheide sollten unter Hinweis auf diese Verfahren angefochten werden. Unabhängig davon sollten Eltern gegenüber der Familienkasse die ernsthaften Bemühungen des Kindes um einen Ausbildungsplatz nachweisen oder zumindest glaubhaft machen – und zwar sehr frühzeitig. Der Nachweis für die Ausbildungswilligkeit des Kindes kann z.B. erbracht werden durch schriftliche Bewerbungen unmittelbar an Ausbildungsbetriebe und ggf. darauf erfolgte Zwischennachrichten oder auch Absagen.
Im Falle einer Erkrankung ist das voraussichtliche Ende der Erkrankung durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes nachzuweisen; die Bescheinigung ist jeweils nach Ablauf von sechs Monaten zu erneuern. Ist nach den ärztlichen Feststellungen das voraussichtliche Ende der Erkrankung nicht absehbar, muss sehr frühzeitig eine schriftliche Erklärung an die Familienkasse erfolgen, dass der Wille des Kindes besteht, sich unmittelbar nach Wegfall der Hinderungsgründe um eine Berufsausbildung zu bemühen, sie zu beginnen oder fortzusetzen. Zudem muss sich das Kind nach Wegfall des Hinderungsgrundes unmittelbar um eine Berufsausbildung bemühen bzw. diese fortsetzen.