Das Existenzminimum von Kindern muss aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Steuer freigestellt werden. Dies geschieht durch den Kinderfreibetrag und den BEA-Freibetrag (für Betreuung, Erziehung und Ausbildungsbedarf). Das Finanzamt prüft im Rahmen der jährlichen Steuerveranlagung automatisch, ob für die Eltern diese Freibeträge für Kinder oder das während des Jahres ausbezahlte Kindergeld günstiger sind.
Nach vier Jahren Stillstand gab es 2015 endlich eine marginale Verbesserung: Der Kinderfreibetrag von bisher 2.184 Euro (verdoppelt 4.368 Euro) stieg auf 2 256 Euro (4.512 EUR) und wurde 2016 weiter auf 2.304 Euro(4.608 Euro) angehoben.
Aufgrund des 9. Existenzminimumberichts vom 7.11.2012 betrug im Jahre 2014 das Existenzminimum für Kinder 4.440 Euro, sodass der geltende Kinderfreibetrag mit 4.368 Euro um 72 Euro zu niedrig war (BT-Dr. 17/11425). Dieses Versäumnis hat die Bundesregierung erkannt, aber bewusst nicht nachgebessert. Je nach Steuersatz zahlten Eltern dadurch über 30 Euro mehr Steuern und Solidaritätszuschlag je Kind.
Aktuell hat das Finanzgericht Niedersachsen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages bei der Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages für das Jahr 2014 geäußert. Der Kinderfreibetrag im Jahre 2014 sei aus mehreren Gründen evident zu niedrig. Deshalb haben die Eltern Anspruch auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung (Niedersächsisches FG vom 16.2.2016, 7 V 237/15).
- Die Finanzrichter halten im Jahre 2014 einen Kinderfreibetrag von 4.440 Euro – statt 4.368 Euro – für zutreffend. Für Kinder wurden damals Kinderfreibeträge von nur 7 008 Euro (4.368 Euro für das sächliche Existenzmini-mum und 2.640 Euro für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf) abgezogen, sofern dies günstiger war als das Kindergeld. Für Erwachsene wurde hingegen ein Betrag von 8.354 Euro (Grundfreibetrag) steuerlich freigestellt (§ 32a EStG). Die Finanzrichter bezweifeln, dass die Unterdeckung von 72 Euro mit dem Grund-gesetz vereinbar ist.
- Die Finanzrichter beanstanden, dass alle Eltern zu viel Solidaritätszuschlag (und ggf. auch Kirchensteuer) gezahlt haben. Die Höhe des Solidaritätszuschlages (und der Kirchensteuer) orientiert sich an den Kinderfreibeträgen, denn diese werden immer in voller Höhe abgezogen, also auch dann, wenn das Kindergeld günstiger ist. Ist also der Kinderfreibetrag zu niedrig, sind der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer zu hoch.
- Die Finanzrichter bemängeln, dass der Kinderfreibetrag altersunabhängig gestaltet ist, während die sozialhilferechtlichen Regelbedarfe für Kinder altersabhängig seien und mit zunehmendem Lebensalter des Kindes stiegen. Bei der Ermittlung des Kinderfreibetrages wird lediglich ein durchschnittliches Existenzminimum von 258 Euro pro Monat angesetzt, das unter dem Sozialleistungsanspruch eines sechsjährigen Kindes liegt (Regelsatz 2014: monatlich 261 Euro).
- Die Finanzrichter kritisieren grundsätzlich die Berechnung des Kinderfreibetrages, weil für ein volljähriges Kind dasselbe Existenzminimum gilt wie für ein minderjähriges Kind, aber nicht wie für einen Erwachsenen. Dies sei weder sachgerecht noch folgerichtig und damit nicht mehr vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ge-deckt. Zahlen Eltern nämlich Unterhalt für ein volljähriges Kind, für das kein Anspruch auf Kindergeld oder Kin-derfreibetrag besteht, wird das Existenzminimum mit dem Unterhaltshöchstbetrag gemäß § 33a Abs. 1 EStG (der identisch ist mit dem Grundfreibetrag) angesetzt. Auch das hält das Gericht für nicht folgerichtig.
SteuerGo: Was können betroffene Eltern tun? Sie profitieren in jedem Fall von dem Klageverfahren, denn die Steuerbescheide für das Jahr 2014 bleiben in puncto Kinderfreibetrag automatisch offen. Die Steu-erbescheide erhalten einen sog. Vorläufigkeitsvermerk und können dadurch später noch zugunsten der Eltern geändert werden. Diese Rechtsauffassung zur Vorläufigkeit beim Kinderfreibetrag 2014 wird von der Bundesregierung geteilt. Sie müssen deswegen keinen gesonderten Einspruch einle-gen. Zum Thema Kinderfreibetrag 2014 ist ein weiteres Verfahren beim Finanzgericht München an-hängig (Aktenzeichen: 8 K 2426/15).