Nach weit verbreiteter Meinung müssen hochbegabte Kinder außergewöhnlich gute Leistungen in der Schule zeigen. Doch eine große Anzahl dieser Kinder entspricht gar nicht diesem Vorurteil, sondern hat Schwierigkeiten: Diese Kinder verbergen ihre besonderen Begabungen, haben kaum soziale Kontakte, entwickeln zu wenig Selbstbewusstsein, fürchten den Erwartungsdruck von Eltern usw. Eine Lösung derlei Probleme bietet der Besuch spezieller Schulen für Hochbegabte, meist verbunden mit der Unterbringung in einem Internat. Die Frage ist, ob sich an den oftmals erheblichen Kosten das Finanzamt beteiligt.
Aktuell hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass die Kosten für den Privatschulbesuch eines hochbegabten Kindes keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen. Das Gericht stuft die Aufwendungen für den Privatschulbesuch nicht als unmittelbare Krankheitskosten, sondern als Kosten der privaten Lebensführung ein (FG Münster, Urteil vom 13.6.2023, 2 K 1045/22 E).
Der Fall: Die Tochter besucht ein staatlich anerkanntes Gymnasium mit angeschlossenem Internat. Bei ihr wurden eine besondere Lernbegabung und eine sehr hohe Intelligenz bestätigt. Dies wurde durch ein Schreiben des amtsärztlichen Dienstes festgestellt. Die außerordentlichen intellektuellen Fähigkeiten seien in der Schule nicht ausreichend gefördert worden. Aufgrund der ständigen schulischen Unterforderung seien bei der Tochter behandlungsbedürftige psychosomatische Beschwerden aufgetreten, die sich innerhalb eines Jahres zu einem Besorgnis erregenden gesundheitlichen Zustand entwickelten.
Amtsärztlich wurde deshalb aus gesundheitlichen Gründen der Besuch einer Schule mit individuellen, an die Hochbegabung angepassten Fördermöglichkeiten wie dem Internatsgymnasium dringend befürwortet.
Die Eltern machten die Kosten für das Internat als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das Finanzamt lehnte dies ab und wies darauf hin, dass die amtsärztliche Stellungnahme nicht mit einem amtsärztlichen Gutachten gemäß § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV vergleichbar sei. Ein Nachweis der Zwangsläufigkeit liege demnach nicht vor. Zudem handele es sich bei den Internatskosten nicht um unmittelbare Krankheitskosten.
Auch das Finanzgericht Münster lehnt die Anerkennung der Kosten ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könnten Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule nur unter ganz engen Voraussetzungen als (unmittelbare) Krankheitskosten angesehen werden. Denn auch bei einem infolge von Krankheit lernbehinderten Kind seien die Privatschulaufwendungen grundsätzlich durch den Kinderfreibetrag, den BEA-Freibetrag und das Kindergeld abgegolten.
Dementsprechend zählten Privatschulkosten nicht bereits dann zu den unmittelbaren Krankheitskosten, wenn der Besuch der Privatschule durch eine Krankheit des Kindes verursacht sei. Erforderlich sei vielmehr, dass der Privatschulbesuch zum Zwecke der Heilbehandlung erfolge und dort eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung stattfinde.
Aber der Bundesfinanzhof hat im Jahre 2011 gegen Finanzgericht und Finanzverwaltung entschieden, dass Aufwendungen für Schulbesuch und Internatsunterbringung eines hochbegabten Kindes Krankheitskosten darstellen können und diese im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 EStG absetzbar sein können. Dies gelte dann, wenn der Schulbesuch medizinisch angezeigt ist. In diesem Fall sei es unschädlich, dass die Unterbringung im Internat zugleich der schulischen Ausbildung diene (BFH-Urteil vom 12.5.2011, VI R 37/10).
- Die BFH-Richter wiesen darauf hin, dass nicht nur das medizinisch Notwendige im Sinne einer Mindestversorgung von der Heilanzeige erfasst wird. Medizinisch indiziert (angezeigt) ist vielmehr jedes diagnostische oder therapeutische Verfahren, dessen Anwendung in einem Erkrankungsfall hinreichend gerechtfertigt ist. Dieser medizinischen Wertung hat die steuerliche Beurteilung zu folgen.
- Nach neuer Rechtsprechung muss die medizinische Indikation nicht mehr unbedingt durch ein vorher ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Attest nachgewiesen werden, sondern kann auch noch später und durch alle geeigneten Beweismittel geführt werden. „Da weder das Finanzamt noch das Finanzgericht die Sachkunde besitzen, um die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahme zu beurteilen, ist das Finanzgericht aufgrund seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung gehalten, gegebenenfalls von Amts wegen ein entsprechendes Gutachten zu erheben.“
Gegen das Urteil des FG Münster wurde Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesfinanzhof eingelegt. Diese ist unter dem Az. VI B 35/23 anhängig. Falls der BFH der Auffassung der Klägerin folgen sollte und die Kosten des Schulbesuchs – und gegebenenfalls der Internatsunterbringung – als unmittelbare Krankheitskosten akzeptiert werden, wäre übrigens wohl auch das gezahlte Schulgeld in voller Höhe als außergewöhnliche Belastungen absetzbar, und nicht bloß zu 30 Prozent und begrenzt auf 5.000 EUR als Sonderausgaben.
Bei volljährigen Kindern würde der Ausbildungsfreibetrag wegen auswärtiger Unterbringung in Höhe von 1.200 EUR nicht gewährt, weil dies zu einer doppelten Steuerermäßigung führen würde.