Eltern tragen mit ihrer Kindererziehungsleistung dazu bei, dass die Umlagesysteme der Sozialversicherung erhalten bleiben und ihre Kinder später die Rente und medizinische Versorgung auch der Kinderlosen bezahlen. Sie sorgen also mit ihrer Leistung dafür, dass die Sozialsysteme funktionieren. Dennoch müssen sie Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung in gleicher Höhe wie Kinderlose zahlen. Und die Pflegeversicherung?
Nur in der gesetzlichen Pflegeversicherung gibt es eine Unterscheidung:
- Im Jahre 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, es verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Grundgesetz, dass „Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben dem Geldbetrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden“. Ein gleicher Versicherungsbeitrag führe somit zu einem Ungleichgewicht zwischen dem Gesamtbetrag der Eltern und dem reinen Geldbetrag der Kinderlosen (BVerfG-Urteil vom 3.4.2001, 1 BvR 1629/94).
- Aufgrund dieses Urteils müssen Kinderlose seit 2005 in der gesetzlichen Pflegeversicherung einen Beitragszuschlag von 0,25 Prozentpunkten zahlen. Doch die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, Eltern innerhalb des Systems und während der Erziehungsphase zu entlasten, wurde ignoriert. Wie viele Kinder ein Elternpaar großzieht, spielt also keine Rolle.
- Im Juli 2017 hat das Bundessozialgericht entschieden, dass die Erziehungs- und Betreuungsleistungen von Eltern nicht direkt bei der Beitragsbemessung der Sozialversicherungen berücksichtigt werden müssen. Es verstoße nicht gegen die Verfassung, wenn Eltern mit mehreren Kindern wegen ihrer Erziehungsleistungen keine niedrigeren Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zahlen. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erfolgte nicht (BSG-Urteil vom 20.7.2017, B 12 KR 14/15 R).
Aktuell hat das Sozialgericht Freiburg festgestellt, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Und deshalb haben die Richter diese Frage erneut dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Es geht um eine Familie mit vier Kindern, die eine der Kinderzahl entsprechende Entlastung beim Beitrag zur Pflegeversicherung begehrt. Zudem bemängelte das Paar, dass Eltern erwachsener Kinder und Kinderlose unterschiedlich behandelt werden.
Außerdem werde bei den Rücklagen für den Pflegevorsorgefonds seit 2015 nicht zwischen Kinderlosen und Eltern unterschieden, denn Eltern mit vier Kindern müssen genauso viel in den Vorsorgefonds einzahlen wie Kinderlose. Nach Auffassung der Sozialrichter hat der Gesetzgeber das Urteil des BVerfG aus dem Jahre 2001 nicht zutreffend umgesetzt, und das Bundessozialgericht hat die Entscheidung bisher unzureichend beachtet (SG Freiburg vom 23.1.2018 (Tag der Verhandlung), 6 KR 5414/15).
Gegen das Urteil des Bundessozialgerichts vom 20.7.2017 wurde Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Dort sind bereits 376 Verfassungsbeschwerden wegen Benachteiligung von Eltern in der Sozialversicherung anhängig. Diese wenden sich gegen die gleichheitswidrige Benachteiligung von Versicherten mit Kindern durch das Beitragsrecht der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie gegen die BSG-Urteile vom 30.9.2015 (B 12 KR 15/12 R und B 12 KR 13/13 R).