Das Existenzminimum von Kindern muss aus verfassungsrechtlichen Gründen von der Steuer freigestellt werden. Dies geschieht durch den Kinderfreibetrag und den BEA-Freibetrag (für Betreuung, Erziehung und Ausbildungsbedarf). Das Finanzamt prüft im Rahmen der jährlichen Steuerveranlagung automatisch, ob für die Eltern diese beiden Freibeträge oder das während des Jahres ausbezahlte Kindergeld günstiger sind.
Während der BEA-Freibetrag seit 2010 unverändert 2.640 Euro beträgt, wird der Kinderfreibetrag nach vier Jahren Stillstand in den Jahren 2015 bis 2018 jährlich angehoben. Er beträgt 4.368 Euro (2010-2014), 4.512 Euro (2015), 4.608 Euro (2016), 4.716 Euro (2017), 4.788 Euro (2018).
Das Finanzgericht Niedersachsen hatte im Februar 2016 ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages für das Jahr 2014 geäußert. Er müsse statt 4.368 Euro mindestens 4.440 Euro betragen. Deshalb hätten die Eltern Anspruch auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung (Niedersächsisches FG vom 16.2.2016, 7 V 237/15).
Auch der Bundesfinanzhof hat zugestimmt, dass für das Jahr 2014 ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gerechtfertigt sei, soweit er sich auf einen Betrag von 72 Euro bezieht, um den der Kinderfreibetrag zu niedrig ist (BFH-Beschluss vom 21.7.2016, V B 37/16).
Aktuell hat das Finanzgericht Niedersachsen noch einmal nachgelegt: Der Kinderfreibetrag sei nicht nur im Jahre 2014 verfassungswidrig zu niedrig gewesen, sondern überhaupt sei die gesamte Berechnungsmethode des Kinderfreibetrages verfassungswidrig – und deshalb der Freibetrag auch in anderen Jahren zu niedrig. Das Gericht hat daher ein Klageverfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die gesetzliche Regelung zur Höhe der Kinderfreibeträge verfassungswidrig ist (FG Niedersachsen vom 2.12.2016, 7 K 83/16).
- Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens muss ein Betrag in Höhe des Existenzminimums steuerfrei bleiben. Auf den Teil des Einkommens, den man bei Bedürftigkeit als Sozialleistung erhalten würde, darf keine Einkommensteuer erhoben werden. Die Höhe des Existenzminimums wird alle zwei Jahre von der Bundesregierung ermittelt.
- Der nach einer Durchschnittsberechnung vom Gesetzgeber festgelegte Kinderfreibetrag legt für alle Kinder ein sächliches Existenzminimum zugrunde, das niedriger ist als der sozialhilferechtliche Regelbedarf eines Kindes ab dem 6. Lebensjahr. Das gilt auch für ältere oder volljährige Kinder, die z.B. wegen einer Ausbildung oder als behinderte Kinder zu berücksichtigen sind.
- Die Finanzrichter bemängeln, dass der Kinderfreibetrag altersunabhängig gestaltet ist, während die sozialhilferechtlichen Regelbedarfe für Kinder altersabhängig seien und mit zunehmendem Lebensalter des Kindes stiegen. Bei der Ermittlung des Kinderfreibetrages wird lediglich ein durchschnittliches Existenzminimum von 258 Euro pro Monat angesetzt, das unter dem Sozialleistungsanspruch eines sechsjährigen Kindes liegt (Regelsatz 2014: monatlich 261 Euro).
- Die Finanzrichter kritisieren grundsätzlich die Berechnung des Kinderfreibetrages, weil für ein volljähriges Kind dasselbe Existenzminimum gilt wie für ein minderjähriges Kind, aber nicht wie für einen Erwachsenen. Dies sei weder sachgerecht noch folgerichtig und damit nicht mehr vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Deshalb müsse der Kinderfreibetrag für die jüngere Tochter um 444 Euro und für die ältere Tochter um 1.346 Euro höher sein.
Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden – aber das kann locker drei bis vier Jahre dauern. Die Entscheidung hat Bedeutung für alle Eltern, die für ihre Kinder einen Anspruch auf Kindergeld oder einen Kinderfreibetrag haben. Eine Erhöhung der Kinderfreibeträge wirkt sich nicht nur bei solchen Steuerzahlern aus, für die der Kinderfreibetrag günstiger ist als das Kindergeld, sondern betrifft alle, weil die Kinderfreibeträge immer bei der Festsetzung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlages berücksichtigt werden.