Aufwendungen für die erste Berufsausbildung und für das Erststudium als Erstausbildung, welche nicht im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses (z.B. Lehre) absolviert werden, sind nach geltendem Recht nur begrenzt bis zu 6.000 Euro (bis 2011: 4.000 Euro) als Sonderausgaben absetzbar, während die Kosten für jegliche Bildungsmaßnahmen nach abgeschlossener Berufsausbildung, auch für ein Erststudium nach einer Lehre, in voller Höhe als Werbungskosten berücksichtigt werden. Der Sonderausgabenabzug wirkt sich nur dann steuermindernd aus, wenn andere Einkünfte – auch des Ehegatten – vorliegen, von denen die Ausgaben abgezogen werden können. Ist dies nicht der Fall, verpufft die vermeintliche Steuervergünstigung wirkungslos. Was von den Ausbildungskosten im Jahr der Zahlung nicht mit Einkünften verrechnet werden kann, ist steuerlich verloren.
- Im Juli 2011 hatte der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Kosten für ein Erststudium – auch im Anschluss an das Abitur – in unbegrenzter Höhe als vorab entstandene Werbungskosten absetzbar sind (BFH-Urteile vom 28.7.2011, VI R 7/10, VI R 38/10, VI R 15/11, VI R 5/10, und VI R 8/09).
- Mit dem „Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz“ vom 7.12.2011 hat der Gesetzgeber die vorteilhaften BFH-Urteile in den Orkus verbannt und die alte Rechtslage wieder hergestellt. Die Ausbildungskosten sollen weiterhin nur begrenzt als Sonderausgaben abziehbar sein. Die Neuregelung trat am 14.12.2011 in Kraft, gilt aber rückwirkend ab 2004. Ein umstrittenes Verfahren! (§ 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6, § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 5 EStG).
Die gesetzliche Neuregelung erfolgte ausschließlich aus fiskalischen Gründen, widerspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz und führt zur krassen steuerlichen Ungleichbehandlung.Wir empfehlen den Studierenden seit Jahren, ihre Studienkosten als Werbungskosten geltend zu machen und den Steuerbescheid mittels Einspruch offenzuhalten. Die Finanzämter mussten die Verfahren von Amts wegen ruhen lassen (§ 363 Abs. 2 Satz 2 AO).
Im November 2013 hat der 8. Senat des Bundesfinanzhofs bereits ein erstes Revisionsverfahren entschieden: Die Richter machten kurzen Prozess und erklärten die neue Gesetzesregelung für verfassungsgemäß. Ausbildungskosten sollen also nur bis 6 000 EUR als Sonderausgaben absetzbar sein (BFH-Urteil vom 5.11.2013, VIII R 22/12).
Aktuell macht der 6. Senat des Bundesfinanzhofs sich die Sache nicht so leicht: Die Richter legen auf über 24 Seiten ausführlich und fundiert dar, dass Aufwendungen für die Ausbildung zu einem Beruf als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Und so bitten die BFH-Richter das Bundesverfassungsgericht um Klärung, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach § 9 Abs. 6 EStG Aufwendungen für die erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium als Erstausbildung nicht als Werbungskosten anerkannt werden (BFH-Beschluss vom 17.7.2014, VI R 8/12 und VI R 2/12).
- Nach Auffassung der BFH-Richter sind die Ausbildungskosten als notwendige Voraussetzung für eine nachfolgende Berufstätigkeit beruflich veranlasst und somit Werbungskosten, denn sie dienen der Erzielung einkommensteuerpflichtiger Einkünfte. Der Ausschluss des Werbungskostenabzugs verstoße gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete verfassungsrechtliche Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und sei auch nicht mit Vereinfachung und Typisierung zu rechtfertigen.
- Berufsausbildungskosten stellen keine beliebige Einkommensverwendung dar, sondern gehören zum zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand, der nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht zur beliebigen Disposition des Gesetzgebers stehe. Diese Aufwendungen seien deshalb jedenfalls unter dem Aspekt der Existenzsicherung einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen. Dem werde nicht entsprochen, wenn für solche Aufwendungen lediglich ein Sonderausgabenabzug in Höhe von 6.000 Euro in Betracht kommen.Denn der Sonderausgabenabzug bleibe bei Auszubildenden und Studenten nach seiner Grundkonzeption wirkungslos, weil gerade sie typischerweise in den Zeiträumen, in denen ihnen Berufsausbildungskosten entstünden, noch keine eigenen Einkünfte erzielten. Der Sonderausgabenabzug gehe daher ins Leere. Denn er berechtige im Gegensatz zum Werbungskostenabzug nicht zu Verlustfeststellungen, die mit späteren Einkünften verrechnet werden könnten. Das maßgebliche Gesetz (§ 9 Abs. 6 EStG) halten die Richter daher für verfassungswidrig.
Da die Streitfrage nun beim Bundesverfassungsgericht angekommen ist und das einschränkende Gesetz dort auf Verfassungsmäßigkeit geprüft wird, empfehlen wir Ihnen: Halten Sie Ihre Einsprüche, die Sie bisher gegen Steuerbescheide eingelegt haben, weiterhin aufrecht. In Neufällen geben Sie eine Einkommensteuererklärung ab und machen Ihre Ausbildungskosten in der „Anlage N“ als Werbungskosten geltend.
Kreuzen Sie im Hauptformular das Feld an „Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs“. Gegen den ablehnenden Steuerbescheid legen Sie Einspruch ein und beantragen unter Hinweis auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht das Ruhenlassen gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO.