Der Familienleistungsausgleich ist schon kompliziert genug. Bei geschiedenen, getrennt lebenden sowie nicht miteinander verheirateten Eltern aber wird er noch schwieriger. Im Gegensatz zum Kindergeld, das immer nur einer Person gezahlt wird, stehen die steuerlichen Freibeträge für Kinder, nämlich Kinderfreibetrag und BEA-Freibetrag (für Betreuung, Erziehung und Ausbildung), grundsätzlich beiden Elternteilen jeweils zur Hälfte zu. Die Frage ist: Ist eine Übertragung des hälftigen Betrages möglich?
Kinderfreibetrag: Die Übertragung des halben Kinderfreibetrages von einem Elternteil auf den anderen Elternteil ist ohne weiteres nicht möglich – auch nicht aufgrund eines einvernehmlichen Antrags. Vielmehr ist eine Übertragung nur dann zulässig, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seine Unterhaltsverpflichtung nicht zu mindestens 75 % erfüllt. Eine Zustimmung des anderen Elternteils ist dann nicht erforderlich. In diesem Fall geht automatisch auch der halbe BEA-Freibetrag mit über. Seit 2012 ist eine Übertragung des halben Kinderfreibetrages auf den betreuenden Elternteil ebenfalls möglich, wenn der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist und deshalb auch keinen Unterhalt zahlen muss. Erforderlich ist dann allerdings ein Antrag des betreuenden Elternteils (§ 32 Abs. 6 Satz 6-7 EStG).
BEA-Freibetrag: Der Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildungsbedarf kann für minderjährige Kinder unabhängig und abweichend vom Kinderfreibetrag von einem Elternteil auf den anderen Elternteil übertragen werden. Dazu genügt ein einseitiger Antrag des betreuenden Elternteils, ohne dass weitere Nachweise oder Begründungen vorgelegt werden müssen. Voraussetzung ist jedoch, dass das Kind beim barunterhaltspflichtigen Elternteil an keinem Tag im Jahr gemeldet ist. Seit 2012 ist es aber zulässig, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil, bei dem das Kind nicht gemeldet ist, der Übertragung des BEA-Freibetrages widersprechen kann, wenn er Kinderbetreuungskosten trägt oder das Kind (1.) regelmäßig (2.) „in einem nicht unwesentlichen Umfang“ betreut. In diesem Fall ist eine Übertragung des BEA-Freibetrages auf einseitigen Antrag des betreuenden Elternteils nicht mehr möglich (§ 32 Abs. 6 Satz 8-9 EStG).
Die Frage beim BEA-Freibetrag also ist: Wann liegt eine Betreuung „in nicht unwesentlichem Umfang“ vor?
- Im Gesetz ist das Merkmal der regelmäßigen Betreuung „in einem nicht unwesentlichen Umfang“ nicht näher erläutert. Auch der Bundesfinanzhof hat dazu bislang noch nicht Stellung genommen.
- Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist ein nicht nur gelegentlicher Umgang mit dem Kind maßgebend, der erkennen lässt, dass der Elternteil die Betreuung mit einer gewissen Nachhaltigkeit wahrnimmt, d.h. fortdauernd und immer wieder in Kontakt zu dem Kind steht. Bei lediglich kurzzeitigem, anlassbezogenem Kontakt (z.B. zum Geburtstag, zu Weihnachten und zu Ostern) liegt eine Betreuung „in unwesentlichem Umfang“ vor. Von einem „nicht unwesentlichen Umfang“ der Betreuung eines Kindes ist typischerweise auszugehen, wenn eine gerichtliche oder außergerichtliche Vereinbarung über einen regelmäßigen Umgang an Wochenenden und in den Ferien vorgelegt wird (BMF-Schreiben vom 28.6.2013, BStBl. 2013 I S. 845, Tz. 9).
- Im Fachschrifttum wird eine Betreuung „in einem nicht unwesentlichen Umfang“ angenommen, wenn der Betreuungsanteil ungefähr 25 % oder durchschnittlich zwei von sieben Tagen in der Woche beträgt. Ausreichend sei jedenfalls regelmäßig die Wahrnehmung des Umgangsrechts oder eine darüber hinausgehende Betreuung.
Aktuell hat jetzt der Bundesfinanzhof geklärt, was unter einer Betreuung „in nicht unwesentlichem Umfang“ zu verstehen ist: Dies ist der Fall, wenn der zeitliche Betreuungsanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils jährlich durchschnittlich 10 % beträgt, wobei weitere Indizien in diesem Fall regelmäßig vernachlässigt werden können.
Anders als im Schrifttum vorgeschlagen, ist insoweit nicht erst ab einem Betreuungsanteil von ungefähr 25 % oder einer Betreuung an durchschnittlich zwei von sieben Tagen in der Woche von einer Betreuung in einem nicht unwesentlichen Umfang auszugehen (BFH-Urteil vom 8.11.2017, III R 2/16).
- Nach Auffassung des BFH erfordert der Betreuungsumfang eine Gesamtschau unter Würdigung aller objektiven Umstände des Einzelfalls. Die Beurteilung kann hierbei von einer Vielzahl nach Lage des Falles naturgemäß auch unterschiedlich zu gewichtenden Faktoren abhängen. Diese sind insbesondere die Häufigkeit und Länge der Kontakte zwischen dem widersprechenden Elternteil und dem Kind, die ihrerseits durch das Alter des Kindes und die Distanz zwischen den Wohnorten des Elternpaares beeinflusst werden. Aus Gründen der Vereinfachung kommt der BFH zu der o.g. Grenze des zeitlichen Betreuungsanteils von 10 Prozent.
- Das Merkmal einer „regelmäßigen“ Betreuung ist insbesondere dann als erfüllt anzusehen, wenn sich ein minderjähriges Kind entsprechend eines – üblicherweise für einen längeren Zeitraum im Voraus festgelegten – weitgehend gleichmäßigen Betreuungsrhythmus tatsächlich in der vereinbarten Abfolge bei dem Elternteil, bei dem es nicht gemeldet ist, aufhält.
Für einen wirksamen Widerspruch des barunterhaltspflichtigen Elternteils ist es ausreichend, wenn dieser der Übertragung des hälftigen BEA-Freibetrages durch Einspruch gegen seinen eigenen Steuerbescheid widerspricht und beantragt, dass bei ihm der Freibetrag neu oder wieder angesetzt wird. Ist diese widersprechende Einrede sachlich gerechtfertigt, wird das Finanzamt den Steuerbescheid des betreuenden Elternteils, auf dessen Antrag zunächst der Freibetrag übertragen wurde, nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO ändern (so BFH-Urteil vom 8.11.2017, III R 2/16).